Einweihung des Europäischen Zentrums für Jüdische Gelehrsamkeit

Einweihung des Europäischen Zentrums für Jüdische Gelehrsamkeit


Dr. Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Rede zur Einweihung des Europäischen Zentrums für Jüdische Gelehrsamkeit, 18. August in Potsdam

Einweihung des Europäischen Zentrums für Jüdische Gelehrsamkeit

Anrede,

Dass wir heute kurz vor dem Festakt zur Eröffnung des Europäischen Zentrums für Jüdische Gelehrsamkeit die Torarollen in die wunderschöne neue Synagoge eingebracht haben, ist kein Zufall. Denn die Gebote und das Studium der Tora haben das jüdische Volk Jahrtausende lang zusammengehalten.

In unserer Tradition nennen wir die beiden Stäbe, auf denen eine Torarolle aufgewickelt wird, „Etz Chajim“ - auf Deutsch „Baum des Lebens“. An einem Tag wie heute ist das mehr als Symbolik. Es freut mich sehr, dass die Studenten am Abraham Geiger Kolleg, am Zacharias Frankel College und der School of Jewish Theology und alle Studierenden der Universität Potsdam diese Synagoge in Zukunft nutzen können, um aus den Wurzeln der jüdischen Tradition neue Kraft zu ziehen. 

Die Eröffnung des neuen Zentrums fällt mitten in das Festjahr „1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland“. Wir sind zu Recht stolz sein auf die Traditionen jüdischer Gelehrsamkeit in unserem Land. 

Die Lehren von Abraham Geiger und Zacharias Frankel dienen als Richtschnur zur Standortbestimmung für jüdische Studierende, die sich der liberalen oder im englischen Sprachgebrauch „conservative“ Richtung zurechnen und Rabbiner oder Kantor werden wollen. Doch selbstverständlich steht die School of Jewish Theology auch Studenten anderer Glaubensrichtungen offen. Diese Kooperation zwischen akademischer und rabbinischer Ausbildung ist für alle Beteiligten ein Gewinn. Dass sich die Zusammenarbeit nun auch architektonisch wiederspiegelt, ist ein weiterer Erfolg dieses Konzepts. 

Sehr geehrte Damen und Herren, 

jüdisches Leben in Europa steht heute vor großen Herausforderungen. Gegen Politiker und Demagogen, die die Religionsfreiheit einschränken wollen, müssen wir uns zur Wehr setzen. Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen beobachten wir seit vielen Monaten, wie sich dadurch Verschwörungsmythen und antisemitisches Gedankengut verbreiten. Eine jüngste Studie von RIAS, der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus, hat dies erneut bestätigt. 

Wozu Judenhass führen kann, haben wir zuletzt beim Anschlag eines Rechtsextremisten an Jom Kippur 2019 auf die Synagoge von Halle gesehen. Doch wir lassen uns nicht entmutigen. 

Jedem ist inzwischen klar, dass der Antisemitismus in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat. Das Festjahr zur 1700jährigen jüdischen Geschichte in Deutschland ist nicht zuletzt auch ein Versuch, dem entgegenzuwirken. 

Sehr geehrte Damen und Herren,

dies ist kein Jubeljahr. Daher sprechen wir auch nicht von einem Jubiläum. Jeder, der sich mit deutsch-jüdischer Geschichte beschäftigt hat, weiß: Sie ist von Höhen und Tiefen geprägt, nicht nur von Tiefen – von tiefsten Abgründen!

Das Deutschland von heute stellt sich dieser Geschichte, der Auseinandersetzung mit der Schoa. Wir sind froh und dankbar, die demokratischen Parteien der Bundesrepublik an unserer Seite zu wissen, wenn es um die Verteidigung der Erinnerungskultur geht. 

Wir haben keine unrealistischen Ziele. Wir sind hier zu Hause und wollen hier bleiben. Und wenn wir erreichen könnten, dass es in der Zukunft nicht mehr notwendig sein wird, jüdische Einrichtungen ständig unter Polizeischutz zu stellen, dann hätten wir einen großen Schritt in eine bessere Welt gemacht. 

Heute, mit der Eröffnung des Europäischen Zentrums für Jüdische Gelehrsamkeit und der Einbringungen der Torarollen, setzen wir ein wichtiges Zeichen unseres Glaubens an die Zukunft jüdischen Lebens in Deutschland. 

Heute ist ein guter Tag für die jüdische Gemeinschaft und für das ganze Land!

Masal tow und viel Erfolg! 


Autor: ZdJ
Bild Quelle: Expdm, Public domain, via Wikimedia Commons


Sonntag, 22 August 2021

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