Yair Lapid: Der Mann hinter den Kulissen

Yair Lapid: Der Mann hinter den Kulissen


Diese Woche stellte Israels Außenminister Lapid eine „Wirtschaft-für-Sicherheit“-Strategie für den Gazastreifen vor, mit der er der Hamas und den anderen Terrorgruppen dort das Wasser abgraben möchte.

Yair Lapid: Der Mann hinter den Kulissen

von Yvette Schwerdt

Er hält sich weitgehend bedeckt, macht kaum Schlagzeilen, spricht mit Bedacht und benimmt sich alles andere als typisch für einen israelischen Spitzenpolitiker. Trotzdem ist der Architekt der neuen Regierung, Yair Lapid, eine Schlüsselfigur in der Knesset und in Israels öffentlichem Leben.

Politischer Senkrechtstarter

Der Sohn des streitfreudigen ehemaligen Vizepremiers Tommy Lapid ist kein politischer Neuling. Vor knapp 10 Jahren hängte er seinen Job als Journalist und TV-Moderator an den Nagel und gründete Yesh Atid, eine neue Partei der Mitte.

Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten. Lapid Junior landete als Senkrechtstarter prompt in der Position des Finanzministers unter Netanjahu. Allein, die Harmonie mit Letzterem hielt nicht lange an und Lapid sah sich schon bald seines Postens enthoben und aus der Regierung verjagt. Die Demütigung verwand er nicht. Als sich im Jahr 2019 die Gelegenheit ergab, einer erneuten Netanjahu-Regierung beizutreten, weigerte er sich, im Gegensatz zu seinem Partner Benny Gantz, mitzumachen. Er wurde vielmehr Oppositionsführer und begann, sein persönliches Comeback und den Abgang seines innenpolitischen Erzfeindes Netanjahu sorgfältigst zu planen.

 

Teamplayer

Letzteres gelang ihm denn auch vor einigen Monaten, allerdings nicht ohne maßgebliche persönliche Opfer. Obwohl Yesh Atid mehr als doppelt so viele Mandate bekommen hatte als alle anderen Koalitionspartner in der neue Regierung, ließ Lapid innerhalb eines Rotationsabkommen Naftali Bennett den Vortritt als Premierminister.

Mehr noch, im Unterschied zu den meisten anderen Fraktionen, die er in einem kolossalen Kraftakt, trotz immenser ideologischer Differenzen, vereinen konnte, verzichtete er auf etliche Ministerposten für seine Parteigenossen zugunsten der anderen Parlamentarier. Sogar im Moment seines bislang größten Triumphes, als er dem Staatspräsidenten in einem formellen Anruf kundtat, es sei ihm gelungen eine Regierung zu bilden, nahm er sich selbst zurück und lenkte das Rampenlicht auf Bennett.

Mann der Stunde

Von diesem Grundverhalten weicht der 58-Jährige auch heute nicht ab. Er verhandelt zwar auf höchster Ebene in Europa, in den USA und in Russland, lässt aber die PR-wirksamen Fototermine, etwa das Bild von Bennett und al-Sisi mit den israelischen und ägyptischen Fahnen im Hintergrund, anderen übrig.

Seine Zurückhaltung geht so weit, dass manche Israelis Lapid nun der Vernachlässigung seiner Pflichten bezichtigen. So warf man ihm beispielsweise kürzlich vor, er würde nicht an den Sitzungen des Corona-Kabinetts teilnehmen. Da half es ihm auch wenig, dass er beteuerte, er verlasse sich auf den Premierminister, der seine Sache sehr gut mache, er selbst würde sich anderen Aufgaben widmen. Nein, er musste schlussendlich klein beigeben, und versichern, er würde künftig auch mehr zum Kampf gegen Corona beitragen. 

So manche enttäuschten Beobachter wähnen hinter der Zurückhaltung Lapids denn auch Schwäche. Sie wünschten, er hätte, wie viele in der israelischen Politik, eine glanzvollere militärische und akademische Karriere hinter sich. Andere sehen in ihm aber den Mann der Stunde, jenen Politiker, den Israel jetzt braucht, eben weil er so kollegial, so bescheiden und so uneigennützig agiert. Deshalb wählte ihn der bekannte Kommentator Amotz Asa-El auch zum Mann des Jahres. 

Origineller Denker

Klar ist jedenfalls, dass Lapid ein origineller Denker ist. Er war der Einzige, der begriffen hat, wie man die alteingesessene Regierung aus dem Sattel heben kann. Und er ist einer der Wenigen, der es versteht, die heterogene Regierung zusammenzuhalten. Dass er über den Tellerrand hinwegblicken kann, bewies Lapid auch diese Woche, als er bei der Konferenz des internationalen Instituts für Terrorismusbekämpfung an der Reichman-Universität seine Strategie zur Terrorbekämpfung im Gazastreifen vorstellte.

Die meisten Entscheidungsträger sehen derzeit nur zwei Möglichkeiten, die Gewalt in den Griff zu bekommen – nämlich entweder den Gaza Streifen neu zu besetzen oder regelmäßige Offensiven gegen die Terrorgruppen dort zu führen.

Lapid findet beide Optionen schlecht. Er setzt vielmehr auf wirtschaftliche Anreize und Diplomatie. Mit der Hamas will er nicht verhandeln, er will sie vielmehr mit den oben genannten Mitteln bezwingen. Ihm geht es darum, den Einwohnern von Gaza zu zeigen, dass es in ihrem Interesse liegt, dem Hamas-Terror ein Ende zu setzen. Zu diesem Zweck legt er einen Mehrjahresplan vor, der den sukzessiven Wiederaufbau und die Weiterentwicklung des Gaza-Streifens vorsieht.  

Gegen die absurde Situation mit Gaza

Eine Lösung gegen den galoppierenden Terror zu finden, ist gerade dieser Tage vonnöten, denn die Sicherheitslage in und um Israel scheint derzeit arg zu eskalieren. Seit der Flucht der sechs palästinensischen Insassen aus dem Gilboa-Sicherheitsgefängnis und der raschen Festnahme vierer von ihnen mehren sich die Terrorangriffe.

Wieder werden aus dem Gaza-Streifen Raketen auf die israelische Zivilbevölkerung abgefeuert, wieder bewaffnen sich aufgehetzte junge Palästinenser mit scharfen Messern und suchen wahllos israelische Zivilisten zu erstechen. Wieder wappnet sich Israel für einen neuen Krieg.

Mit der drastischen Verbesserung der Lebensbedingungen in Gaza will Lapid nun Druck auf Hamas ausüben und, wie er sagt, die „absurde Situation beenden, in der eine antisemitische Terrororganisation israelische Zivilisten attackiert und Israel dafür verantwortlich gemacht wird.“ Premierminister Bennet und Verteidigungsminister Gantz, so Lapid, würden das Prinzip seiner Strategie kennen, die er im Übrigen auch mit den Regierungschefs der Golfstaaten und Ägyptens, sowie mit dem US-Außenminister Blinken und seinem russischen Pendant Lawrow besprochen habe.

Abfuhr von Hamas

So weit wäre also alles fein, wenn da nicht ausgerechnet die Hamas hineinpfuschen würde. Ihre herbe Abfuhr für Lapids „Wirtschaft-für-Sicherheit“-Strategie ließ nicht lange auf sich warten. Israel versuche, so der Hamas-Sprecher Hazim Qasim, den Widerstand des palästinensischen Volkes zu schwächen. Der Plan von Lapid zeige Israels Unfähigkeit, mit diesem leidenschaftlichen Widerstand umzugehen.

Kurz: Lapids-Strategie scheint ebenso wünschenswert wie realitätsfremd. Ob er in der einen oder anderen Form verwirklicht werden kann, scheint gegenwärtig unwahrscheinlich. Allerdings hat Lapid mit der neuen Regierungsbildung schon einmal bewiesen, dass er Unwahrscheinliches wahr machen kann.

erschienen auf Mena-Watch


Autor: Mena-Watch
Bild Quelle: By המכללה האקדמית ספיר - המכללה האקדמית ספיר, CC0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=47817019


Sonntag, 19 September 2021

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