„Frankreich war immer antisemitisch“ – Ex-Außenminister Kouchner erhebt schwere Vorwürfe
Frankreich war immer antisemitisch, erklärte der ehemalige französische Außenminister Bernard Kouchner am Sonntag gegenüber dem jüdischen Radiosender Radio J in Paris.
In einem Gespräch über Israel, den Krieg in Gaza und den zunehmenden Antisemitismus in Frankreich sagte Kouchner, dass Antisemitismus „der Glaube von Narren“ sei.
Antisemitismus als Krankheit
Kouchner, der von 2007 bis 2010 unter Präsident Nicolas Sarkozy als Außenminister diente, führte weiter aus: „Wenn es nichts zu denken gibt, wendet man sich dem Antisemitismus zu. Bei jedem Unglück wird der Antisemitismus hervorgeholt. Es ist eine sehr tiefgreifende Krankheit.“ Auf die Frage, ob der Antisemitismus, der den Holocaust ausgelöst hat, wieder aufflammt, sagte er: „Er hat nie wirklich aufgehört.“
Seine persönlichen Erfahrungen geben dieser Aussage Gewicht: Kuchners Großeltern väterlicherseits flohen vor den russischen Pogromen nach Frankreich, wurden jedoch später nach Auschwitz deportiert und dort ermordet.
Er bemerkte, dass der Antisemitismus in Frankreich immer präsent war, jedoch in den letzten Jahren stark zugenommen habe. Diese Aussage steht im Einklang mit Berichten des „Jewish Community Protection Service“, die im Juli 2023 eine Zunahme antisemitischer Vorfälle um 1000% im Vergleich zum Vorjahr verzeichneten. Damit wurde ein neuer Normalzustand für 2024 geschaffen.
Bildungsdefizite und Holocaust-Vergessenheit
Ein wesentlicher Grund für diesen wachsenden Hass auf Juden sei laut Kouchner das mangelnde Wissen über die Geschichte. Viele junge Franzosen wüssten nicht einmal, was der Holocaust sei. Kouchner beklagte, dass es eine verzerrte Wahrnehmung von Geschichte gebe. Themen wie Kolonialisierung, territorialer Expansionsdrang oder Völkermord würden diskutiert, „aber man spricht über Völkermord, ohne wirklich zu wissen, was das bedeutet.“
Kriegsfolgen und ihre Wahrnehmung
Kouchner gab zu, dass der Krieg in Gaza die Situation verschärfe: „Es ist schwer, nicht antisemitisch zu sein, wenn man die Zerstörung sieht, die die israelische Armee in Gaza verursacht hat.“ Auf Nachfrage, ob er damit meine, dass Antisemitismus in diesem Kontext normal sei, verneinte er dies. „Es ist nicht normal, aber es ist angesichts des Krieges und der Zerstörung keine überraschende Reaktion.“
Obwohl er die Reaktion Israels auf das Massaker vom 7. Oktober als notwendig bezeichnete, nannte er den laufenden militärischen Konflikt unverhältnismäßig. „Israels militärische Reaktion war legitim und notwendig – das haben wir erwartet. Aber so weiterzumachen und nur eine militärische Lösung anzustreben, ist ein Fehler.“ Trotz seiner Kritik unterstrich Kouchner, dass es für Israel unmöglich gewesen sei, nicht auf die Ermordung von 1.200 Menschen und die Entführung von 300 Personen zu reagieren.
Israels Existenzrecht und Kritik an Frankreichs Politik
Kouchner betonte, dass sein Problem nicht bei Israel liege, sondern beim Krieg als solchem. Er, als Arzt und Politiker, habe sein Leben damit verbracht, Kriege zu verhindern und den Verwundeten zu helfen. Trotz seiner grundsätzlichen Kriegsaversion kritisierte er scharf die Entscheidung von Präsident Emmanuel Macron, Waffenlieferungen an Israel einzustellen. Macron hatte erklärt, dass Waffenlieferungen als Teil einer politischen Lösung des Gaza-Konflikts gestoppt werden sollten.
„Es hat mich traurig gemacht, den Präsidenten Frankreichs – und damit Frankreich – so sprechen zu hören,“ sagte Kouchner. „Er ist kein unwissender Mann; er kennt die Geschichte der Juden.“ Seiner Meinung nach sei Macrons „Aggressionsniveau gegenüber Israel“ ungerechtfertigt, obwohl er betonte, dass es sich nicht um Hass handele. Vielmehr sei die Verurteilung Israels durch Macron unverhältnismäßig im Vergleich zu den tatsächlichen Ereignissen, was Kouchner als schweren Fehler bezeichnete.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Heinrich-Böll-Stiftung from Berlin, Deutschland - Bernard Kouchner, CC BY-SA 2.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=107228008
Donnerstag, 24 Oktober 2024