Gedenken an die Novemberpogrome 1938: Charlotte Knoblochs eindringlicher Appell gegen Antisemitismus und für die Demokratie

Gedenken an die Novemberpogrome 1938: Charlotte Knoblochs eindringlicher Appell gegen Antisemitismus und für die Demokratie


Die Schrecken der Reichspogromnacht bleiben bis heute in Erinnerung – ein mahnendes Erbe gegen Hass und Antisemitismus, das besonders am 9. November neu belebt wird. Dr. Charlotte Knobloch erinnerte in ihrer Rede in München eindrücklich an die düsteren Tage und den heutigen Kampf gegen neuen Antisemitismus in Deutschland.

Gedenken an die Novemberpogrome 1938: Charlotte Knoblochs eindringlicher Appell gegen Antisemitismus und für die Demokratie

Am 9. November 1938 erreichte das nationalsozialistische Unrechtsregime einen weiteren erschütternden Höhepunkt. Diese Nacht, die als „Reichspogromnacht“ oder „Kristallnacht“ in die Geschichte einging, markierte den Beginn einer beispiellosen Welle der Gewalt gegen jüdische Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Synagogen wurden niedergebrannt, Geschäfte geplündert, Wohnungen zerstört, und jüdische Männer und Frauen wurden schikaniert, misshandelt und viele in den Tod getrieben.

86 Jahre später tritt Charlotte Knobloch, die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, vor die Zuhörer in München und gibt der Erinnerung an diesen Tag eine tiefe, persönliche und schmerzlich aktuelle Bedeutung. „Ich danke jedem Einzelnen von Ihnen, dass Sie mit Ihrer Anwesenheit und Ihrem Interesse heute ein Zeichen setzen für das Erinnern“, beginnt Knobloch ihre Rede im Alten Rathaus von München. Es sei, so betont sie, an Tagen wie diesen besonders wichtig, das Gedenken wachzuhalten, denn „die Erinnerung an den 9. November 1938 ist längst wieder eine Erinnerung an die Gegenwart.“

Knobloch, die als Kind selbst die Pogromnacht erlebte und bis heute unter den traumatischen Erinnerungen leidet, erinnert an die entsetzlichen Erlebnisse jener Nacht. Mit bewegten Worten beschreibt sie den Schrecken, den sie als kleines Mädchen durchlebte: „Ein Teil von mir ist bis heute das sechsjährige Mädchen geblieben, das voller Angst die Hand seines Vaters hält“, berichtet Knobloch und schildert anschaulich die durchlebten Szenen – die brennende Synagoge, das Johlen der Täter und die Menschen, die tatenlos zusahen. Ihre Worte spiegeln die Qualen einer Zeit wider, die für die Überlebenden unauslöschlich in ihre Erinnerungen und Herzen eingebrannt sind.

Das Gedenken als Verpflichtung für die Gegenwart
Die Bedeutung dieses Gedenkens, so Knobloch, gehe jedoch über das bloße Erinnern hinaus. „Ohne Erinnerung stehen wir dem Hass in unserer Zeit schwach und hilflos gegenüber“, sagt sie und beschreibt das Gedenken als notwendige Verpflichtung, um die Demokratie und die freiheitliche Gesellschaft, in der wir heute leben, aktiv zu verteidigen. Ihr Appell, dass Erinnerung „Krafttraining für die Muskeln der Demokratie“ sei, ist ein Aufruf, die Errungenschaften und Werte der Gesellschaft nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern sie zu bewahren und zu schützen.

Knobloch verweist auf aktuelle Entwicklungen, die sie mit großer Besorgnis beobachtet. So macht sie deutlich, dass Antisemitismus und Hass keineswegs aus der deutschen Gesellschaft verschwunden sind. „Antisemitismus besteht nicht nur aus uralten Schwarz-Weiß-Fotos. Wir erleben ihn heute in HD-Qualität“, warnt sie und schildert jüngste Ereignisse wie die Angriffe auf israelische Fußballfans in Amsterdam. Die brutalen Szenen, die in sozialen Medien kursieren, lassen sie an einen „Pogrom“ denken, und sie mahnt, dass die Vorstellung, solche Angriffe könnten nicht auch in Deutschland geschehen, eine gefährliche Selbsttäuschung sei.

Antisemitismus als Gift für die Gesellschaft
Für Knobloch ist Antisemitismus nicht nur ein Angriff auf die jüdische Gemeinschaft, sondern auf die Gesellschaft als Ganzes. „Judenhass ist Gift für uns alle“, sagt sie. Dieses Gift bedrohe das Fundament unserer demokratischen Werte: Offenheit, Toleranz und gegenseitiger Respekt. Wer glaubt, dass Antisemitismus ein „überwundenes Phänomen der Geschichte“ sei, liege falsch, so Knobloch weiter. Die Verbreitung judenfeindlicher und antisemitischer Vorurteile bedroht das gesellschaftliche Gefüge und öffnet Türen für weitere Formen von Hass wie Rassismus, Frauenfeindlichkeit und Homophobie.

Ein Appell an die Jugend und künftige Generationen
Eine besondere Verantwortung sieht Knobloch bei der jungen Generation. Die heutigen Jugendlichen seien die letzten, die noch direkt mit Zeitzeugen sprechen können und deren Erinnerungen weitertragen können. Gerade deshalb müsse die junge Generation verstehen, worin ihre Verantwortung bestehe. Knobloch wendet sich gezielt an die Schülerinnen und Schüler des Camerloher-Gymnasiums in Freising, deren Projekt zur Aufarbeitung von jüdischen Biografien verfolgt werde und die sich intensiv mit der Geschichte auseinandersetzen. Dies sei, betont Knobloch, „der Schlüssel zu einer Gesellschaft, die widerstandsfähig ist gegen Wut und Hass.“

Das Vermächtnis des 9. November: Engagement und Widerstand
Knoblochs Worte verdeutlichen die Verpflichtung, aus der Erinnerung an die Pogromnacht Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen. Sie fordert mehr Engagement und weniger Gleichgültigkeit gegenüber Hass und Gewalt. Knobloch spricht davon, dass die Bereitschaft, sich gegen Hass zu stellen, ebenso ein zentraler Bestandteil des Erinnerns sei wie das Gedenken selbst. „Wer wegsieht, schneidet sich ins eigene Fleisch. Wer untätig bleibt, ist mitverantwortlich“, so Knobloch. Die Gesellschaft müsse die Extremisten, die Hass predigen, entschieden bekämpfen, und dies beginne im alltäglichen Leben und im demokratischen Prozess, sei es im Diskurs oder an der Wahlurne.

Knobloch betont die Wichtigkeit, dass demokratische Werte verteidigt werden müssen – Werte, die Deutschland nach dem Ende des Nationalsozialismus mühsam aufgebaut hat. Mit ihrem Appell mahnt sie, dass auch in Deutschland, „die Heimat für uns alle“, die Demokratie keine Selbstverständlichkeit sei und ohne aktives Engagement verloren gehen könnte. „Wir müssen erinnern, damit die Vergangenheit uns nicht einholt“, fasst sie zusammen und macht deutlich, dass diese Erinnerung sowohl eine Mahnung als auch eine Verpflichtung für die Gegenwart darstellt.

Ein entschiedenes Nein zu Gleichgültigkeit
Knoblochs Rede schließt mit einem Appell an das Engagement jedes Einzelnen – gerade in Zeiten wachsender Unsicherheiten. „Zu viele in unserem Land nehmen diese Ausnahmesituation als Normalität hin – warum eigentlich?“ fragt sie und verweist auf die Verpflichtung, das Andenken an die Opfer des Nationalsozialismus als Mahnung zu begreifen und sich entschieden gegen jeden Hass und jede Form des Antisemitismus zu stellen.

In der Erinnerung an den 9. November 1938 liegt für Knobloch eine deutliche Aufforderung: „Alles anders zu machen als die Menschen, die heute vor 86 Jahren zusahen, als die Menschlichkeit vor ihren Augen buchstäblich mit Füßen getreten wurde.“ Ihr Appell richtet sich an uns alle – an eine Gesellschaft, die heute mehr denn je gefordert ist, ihre Demokratie, ihre Werte und die Menschlichkeit aktiv zu verteidigen und gegen Hass aufzustehen.


Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Henning Schlottmann (User:H-stt) - Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=139108095


Sonntag, 10 November 2024

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