Netanjahu und das ICC: Drohende Verhaftung überschattet Auschwitz-Gedenkfeier
Polen will Premier Netanjahu bei einem Besuch festnehmen, so der Vize-Außenminister – ein beispielloser Konflikt im Vorfeld des Auschwitz-Jubiläums.
Die Aussagen von Polens stellvertretendem Außenminister Wladyslaw Bartoszewski sorgen für erheblichen Wirbel: Sollte Israels Premierminister Benjamin Netanjahu nach Polen reisen, würde er gemäß der Verpflichtungen des Landes gegenüber dem Internationalen Strafgerichtshof (ICC) festgenommen. Dies erklärte Bartoszewski in einem Interview mit der polnischen Zeitung Rzeczpospolita. Anlass der Diskussion ist das 80. Jubiläum der Befreiung von Auschwitz am 27. Januar, das normalerweise einen diplomatischen Höhepunkt darstellt.
Der ICC hat im November Anklage gegen Netanjahu und den früheren Verteidigungsminister Yoav Gallant erhoben, was die Staaten, die das Römische Statut unterzeichnet haben, rechtlich zur Vollstreckung der Haftbefehle verpflichtet. Obwohl Polen keine Details zu den Vorwürfen preisgab, scheint die Entschlossenheit Warschaus, Netanjahu im Falle einer Einreise zu verhaften, nicht zuletzt von politischer Symbolik getragen. Laut polnischen Regierungsquellen wolle man die Glaubwürdigkeit des ICC bekräftigen, auch mit Blick auf den Haftbefehl gegen Wladimir Putin, der 2022 wegen der Entführung ukrainischer Kinder aus besetzten Gebieten ausgestellt wurde.
Ob Netanjahu tatsächlich am Auschwitz-Gedenken teilnehmen wird, bleibt fraglich. Bereits jetzt deutet sich an, dass Israel angesichts der juristischen Situation seine hochrangigen Vertreter anders positionieren könnte. Auch Präsident Yitzhak Herzog scheint eine Teilnahme abzulehnen. Nach aktuellen Berichten wird Außenminister Gideon Sa’ar voraussichtlich der einzige Repräsentant Israels sein.
Polens Standpunkt ist allerdings kein Einzelfall. Fast alle EU-Staaten gehören dem Römischen Statut an und sind rechtlich zur Befolgung der Haftbefehle des ICC verpflichtet. Ungarn hat sich hingegen ausdrücklich gegen eine mögliche Verhaftung Netanjahus ausgesprochen. Premierminister Viktor Orbán lud Netanjahu sogar offen nach Budapest ein und betonte, dass eine Festnahme dort nicht erfolgen würde.
Andere EU-Länder wie Spanien, die Niederlande, Irland, Belgien, Litauen und Slowenien haben klargestellt, dass sie die Haftbefehle des ICC auch bei Regierungschefs durchsetzen würden – ungeachtet des diplomatischen Immunitätsstatus. Frankreich nahm nach ersten Zusicherungen eine differenzierte Haltung ein: Während man anfänglich erklärte, Netanjahu bei einer Einreise zu verhaften, wurde diese Position nach Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Libanon relativiert. Mittlerweile erklärte Paris, Netanjahu würde diplomatische Immunität genießen.
Die Situation zeigt, wie sehr der ICC in internationale diplomatische Verstrickungen geraten ist. Die Debatte über den Haftbefehl gegen Netanjahu offenbart zudem die Zerreißprobe zwischen den Prinzipien des internationalen Rechts und den politischen Realitäten. Der Konflikt könnte den bevorstehenden Auschwitz-Jahrestag belasten, der normalerweise ein Moment des gemeinsamen Gedenkens und der Entschlossenheit gegen Antisemitismus sein sollte.
Autor: Redaktion
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Samstag, 21 Dezember 2024