Aufarbeitung in Syrien: Suche nach Zehntausenden Vermissten wird zur Mammutaufgabe
Zehntausende Syrer gelten nach dem Bürgerkrieg weiterhin als vermisst. Familien hoffen auf Antworten – ein Prozess, der Jahre dauern könnte.
Die Suche nach den unzähligen Vermissten des syrischen Bürgerkriegs wird eine gewaltige Herausforderung, die sich über Jahre erstrecken dürfte. Dies erklärte Mirjana Spoljaric, Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), in einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP.
Der Konflikt in Syrien, der 2011 mit einem brutalen Vorgehen des Assad-Regimes gegen Protestierende begann, hat schätzungsweise 500.000 Menschen das Leben gekostet. Einer der schmerzhaftesten Hinterlassenschaften des Bürgerkriegs sind jedoch die Zehntausenden Vermissten. Viele wurden in berüchtigten Gefängnissen gefangen gehalten, wo sie Berichten zufolge unter Folter starben und in Massengräbern verscharrt wurden.
Der Zusammenbruch des Assad-Regimes und die Freilassung Tausender Gefangener durch islamistische Rebellen haben bei vielen Familien die Hoffnung auf neue Erkenntnisse geweckt. Dennoch suchen zahlreiche Syrer weiterhin nach vermissten Angehörigen.
Das IKRK arbeitet derzeit eng mit den neuen syrischen Behörden, nichtstaatlichen Organisationen und dem Syrischen Roten Halbmond zusammen, um Informationen zu sammeln und Antworten für die betroffenen Familien zu finden.
Spoljaric beschreibt die Dimension des Unterfangens als „enorm“. „Es wird Jahre dauern, um Klarheit zu schaffen und alle Betroffenen zu informieren. Und in einigen Fällen wird es keine Möglichkeit geben, die Identität festzustellen,“ betonte sie.
Bislang bearbeitet das IKRK mehr als 35.000 Vermisstenfälle, die bereits registriert sind. Seit der Einrichtung einer neuen Hotline im Dezember sind weitere 8.000 Anfragen eingegangen – eine Zahl, die vermutlich nur einen Bruchteil der tatsächlichen Vermissten umfasst.
Ein weiteres Problem ist der drohende Verlust wertvoller Daten. „Es ist möglich, dass Informationen verloren gehen. Deshalb müssen wir schnell handeln, um das Vorhandene zu sichern und zentral zu speichern,“ warnte Spoljaric.
Das IKRK fordert die neue syrische Führung, bestehend aus der Rebellenorganisation Hayat Tahrir al-Sham (HTS), auf, Institutionen aufzubauen und Kapazitäten zu schaffen, um Daten über die Vermissten nachhaltig zu verwalten und zu schützen.
Laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die in Großbritannien ansässig ist, starben seit 2011 über 100.000 Gefangene in syrischen Gefängnissen infolge von Folter oder unmenschlichen Haftbedingungen.
Die Suche nach den Vermissten in Syrien ist nicht nur eine immense logistische, sondern auch eine moralische Herausforderung. Sie bietet Hoffnung für unzählige Familien, die jahrelang im Ungewissen leben mussten, ist jedoch gleichzeitig ein Wettlauf gegen die Zeit, um das Erbe des Konflikts aufzuarbeiten und neue humanitäre Katastrophen zu vermeiden.
Autor: Redaktion
Bild Quelle: Von Autor/-in unbekannt - SVG-Fassung erstellt durch User:Denelson83 nach GIF-Vorlage auf Wikimedia Commons (30. Jan. 2006 & 1. Apr. 2007), Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=14145800
Montag, 06 Januar 2025