In der Westbank entsteht eine gefährliche neue Generation Militanter
In der nördlichen Westbank braut sich etwas zusammen. In den letzten Monaten haben die israelischen Behörden in den Städten Jenin und Nablus das Aufkommen neuer und ungewohnter Formen bewaffneter palästinensischer politischer Organisationen beobachtet.
Von Jonathan Spyer, Newsweek, 12. Oktober 2022 (Middle East Forum)
Diese neuen Strukturen sind nur lose mit bestehenden palästinensischen politischen Bewegungen verbunden. Sie repräsentieren das kommende Zeitalter einer nächsten Generation.
Einer weitgehend islamistischen politischen Einstellung verpflichtet, ohne Interesse oder Bezugnahme auf diplomatische Prozesse und in Unterstützung eines strategischen bewaffneten Aufstands repräsentiert diese unausgereifte Versammlung eine neue Herausforderung sowohl für Israel als auch für die in Ramallah ansässige palästinensische Autonomiebehörde dar.
Neben diesem Aufkommen und damit verbunden hat es in den letzten Monaten eine Steigerung der Aktivitäten von Einzelnen gegeben, die gegenüber der Organisation Islamischer Staat in Westbank sowie in Israel loyal sind. Die letzte bedeutende Welle terroristischer Anschläge im Zeitraum April/Mai 2022 enthielt sowohl Vorfälle, die dem Raum Jenin/Nablus stammten, als auch Taten, die von Einzelnen begangen wurden, die mit dem Islamischen Staat verbunden oder ihm gegenüber loyal sind.
Diese miteinander verbundenen Phänomene dürften durchaus die Umrisse der nächsten Phase des israelisch-palästinensischen Konflikts zeigen.
Was genau ist hier im Gang?
Das aktuelle Gärmittel in Jenin und Nablus entstammt einer Kombination aus mehreren Faktoren: Die Pandemie und die durch die damit verbundenen Schließungen verschärften die Verarmung. Die palästinensische Autonomiebehörde hat ihre Aktivitäten in dem Bereich reduziert und bei der jüngeren Generation hat sie keinerlei Glaubwürdigkeit. Diese aufstrebende Generation war wiederum kein Zeuge des bitteren Aufstands der zweiten Intifada von 2000 bis 2004 oder der israelischen militärischen und Geheimdienst-Kampagne, die diese zerschlug. Waffen sind verbreitet vorhanden und leicht verfügbar – oft durch die Hände von Clans oder organisierter Verbrechergruppen.
All diese Faktoren haben sich vermengt, um eine lose Sammlung von wahrscheinlich nicht mehr als ein paar hundert jungen Männern in jeder dieser Städte hervorzubringen, die für gewalttätiges Handeln gegen Israelis – Soldaten wie Zivilisten – bereit sind.
Die bekannten palästinensischen Organisationen wollen sich in diesem Raum organisieren. Die Hamas ist in der nördlichen Westbank traditionell relativ schwach. Der Islamische Jihad und die Fatah sind die dort stark verwurzelten Bewegungen.
Der vom Iran unterstützte Islamische Jihad tritt in Jenin besonders hervor. Ende 2021 gründete er das „Jenin-Bataillon“ in der Absicht die bewaffneten jungen Männer der Stadt und des Flüchtlingslagers unter ihrem Banner zu organisieren. Das „Bataillon“ scheint keine echte Hierarchie zu haben und bringt Aktive aus einer Vielzahl von Organisationen und ohne Zugehörigkeit zusammen.
Der Beitrag des Islamischen Jihad ist vermutlich finanzieller Art. Aber er will auf einer Welle reiten, nicht sie erzeugen.
Ähnlich lautet in Nablus der der Dachorganisation gegebene Name „Löwengrube“; sie bringt die jungen Militanten zusammen. Wieder könnte Geld aus traditionelleren Strukturen kommen – der Hamas oder dem Islamischen Jihad in Nablus. Aber die Triebkraft ist lokal und kommt von unten.
Das Ergebnis ist ein ansteigender Bogen der Gewalt. Es begann während des Ramadan dieses Jahr (April/Mai). Am 29. März, 7. April, 29. April und 5. Mai wurden von Einzelnen aus den Bereichen Nablus und Jenin tödliche Terroranschläge gestartet. Diese Anschläge brachten die fraglichen Bereiche auf das Radar der israelischen Sicherheitskräfte.
Es folgten nahezu nächtlich Razzien in diesen Städten. Mehr als 100 Palästinenser sind bei den sich daraus ergebenen Zusammenstößen getötet und rund 1.500 sind verhaftet worden Die Zahl der Anschläge geht weiter nach oben. Von Israels Inlandgeheimdienst Schin Bet Ende September veröffentlichte Zahlen zeigen für diesen Monat insgesamt 212 Anschläge – wie das Werfen von Molotow-Cocktails, Rohrbomben und Messeranschläge – gegenüber 172 im August und 113 im Juli. Es gab im September 34 Schießanschläge, im Vergleich dazu 23 im August und 15 im Juli. Zwei Israelis, ein Soldat und ein Zivilist wurden im September getötet.
Neben und parallel zur Zunahme der Anschläge, die aus den Bereichen Jenin und Nablus kommen, gibt es Hinweise des Entstehens von Aktivitäten des Islamischen Staats in Israel und der Westbank. Die ersten drei Akte der Terrorwelle während des Ramadan, kamen nicht aus der nördlichen Westbank. Stattdessen wurden alle drei – in Jerusalem, Beer Scheva und Hadera, alle innerhalb der Grünen Linie – von Einzelnen begangen, die Loyalität gegenüber dem IS bekundeten. Bei diesen Vorfällen wurden sieben Israelis getötet. Die israelischen Behörden haben erst letzte Woche eine IS-Zelle in Nazareth ausgehoben, die eine Serie von Anschlägen plante.
Was heißt das alles und was bedeutet es? Eine Verschlechterung in einen neuen Aufstand der Art von 2000 bis 2004 sollte nicht ausgeschlossen werden. Aber sporadische, weitgehend ungerichtet anhaltende Gewalt ist genauso möglich. Die palästinensische Politik ist gespalten und befindet sich in einer Sackgasse. Weder Diplomatie noch Aufstand haben den Feind gebrochen oder echte Fortschritte gemacht. Die aktuelle, unausgereifte militärische Organisation ist eine reflexhafte, verzweifelte Antwort darauf, der jegliche politische Horizont fehlt, aber von beträchtlicher Wut angetrieben ist und von einer unveränderten Politik, die jeglichen Kompromiss ablehnt.
Autor: Heplev
Bild Quelle: Archiv
Donnerstag, 20 Oktober 2022